Zwei große Fische: „The Golden Notebook“ von Doris Lessing und „Der Zauberberg“ von Thomas Mann

In den letzten Monaten habe ich zwei dicke Klassiker gewälzt.

Zuerst, noch im Spätsommer, „The Golden Notebook“ von Doris Lessing. Der verschachtelte Roman wird oft als Lessings Hauptwerk und zugleich als Meilenstein der Frauenbewegung tituliert. Als roter Faden zieht sich unter dem Titel „Free Women“ die Geschichte von Anna Wulf, einer Schriftstellerin, und ihrer engen Freundin Molly Jacobs, einer Schauspielerin, durch das Buch. Eingeflochten sind die vier Notizbücher von Anna Wulf, das schwarze, rote, gelbe und blaue. Jedes bildet einen anderen Aspekt aus Annas Leben ab. Das „Golden Notebook“, fast ganz ans Ende gesetzt, gilt als Synthese, in der Anna ihre desintegrierten Persönlichkeitsaspekte zusammenführt.

Ganz ehrlich, das Buch war anstrengende Lektüre und die Trennung in die vier Notizbücher sowie die angebliche Zusammenführung im goldenen kann ich weder literarisch noch psychologisch komplett nachvollziehen.

Der Wert des Romans liegt für mich in seiner erleuchtenden Abbildung der moralischen und gesellschaftlichen Werte der Fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Und auch die Tatsache, dass der Roman in Deutschland erst 1978, also 16 Jahre nach dem Erscheinen des englischen Originals, veröffentlicht wurde, ist interessant.

Mein Fazit zu „Golden Notebook“: Nichts für Jedermann, sondern nur für wache und anspruchsvolle Leser, die in die Psyche der mitteleuropäischen Nachkriegszeit eintauchen wollen.

Im Frankreichurlaub im Oktober dann der zweite dicke Fisch: „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Nach der Begeisterung über Buddenbrooks waren die Erwartungen hoch – und sie wurden erfüllt. Ich liebe Manns Satzbau und Vokabular. Der kunstvoll fließende Stil lässt die Zeit, in der die Geschichte spielt (vor Ausbruch des ersten Weltkriegs), unmittelbar lebendig werden.

Die Handlung ist eigentlich schnell erzählt: Der 24-jährige Hamburger Patriziersohn Hans Castorp besucht vor Antritt seiner Ingenieursstelle den lungenkranken Vetter im Sanatorium im schweizerischen Davos. Aus den geplanten drei Wochen Aufenthalt werden sieben Jahre – ohne dass Hans Castorp wirklich krank wäre.

Die Lebenswelt „dort oben“ ist völlig entkoppelt von der Realität und trieft vor Dekadenz. Die einzig nennenswerte Beschäftigung neben den fulminanten fünf Mahlzeiten pro Tag ist die „Liegekur“: das in warme Decken eingewickelte Ruhen auf bequemen Liegestühlen in der eigenen Balkonloge.

In dieser unfassbar stagnierten Atmosphäre entspinnen sich ausschweifende philosophisch-politische Exkurse, geführt von zwei entgegengesetzten Charakteren (den Herren Settembrini und Naphta), die Hans Castorp als ihren „Schüler“ pädagogisch beeinflussen wollen. Und eine geheimnisvolle Frau, eine Patientin aus Russland, ist auch noch mit im Spiel.

Thomas Mann zeichnet ein feines Porträt der Stimmung und Haltung vor Beginn des ersten Weltkrieges, der als „Donnerschlag“ am Schluss des Romans Hans Castorps stilles Leben in der Bergwelt erschreckend endgültig beendet.

Fazit zu „Der Zauberberg“: Wer auf rasante Action und einfache Hauptsatzkonstruktionen steht, sollte von Thomas Mann die Finger lassen. Wer sich von schöner Sprache verzaubern lässt und der Meinung ist, dass auch in reduzierter äußerer Handlung viel Spannung stecken kann, dem sei der Zauberberg wärmstens ans Herz gelegt.

 

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