Monatsarchiv: November 2011

Vor dem Abendessen (Schau mal, Schatz – Episode 2)

„Komm mal, Schatz, das musst du dir ansehen!“, ruft Christian mir in die Küche zu. Mit dem Geschirrtuch und dem Rotweinglas, das ich gerade abtrockne, gehe ich hinüber ins Wohnzimmer.

„Schau mal.“ Christian zeigt auf den laufenden Fernseher. Auf dem Bildschirm sehe ich eine Frau in einem hochgeschlossenen knielangen roten Kleid, nein, es ist eher ein Kittel. Sie trägt klobige Männerschuhe, die dicken Socken reichen ein Stück über die Knöchel. Ihr Gesicht ist hinter einer altertümlich anmutenden Gasmaske versteckt. So einer, wie man sie aus Museen über die Weltkriege kennt. In den Händen hält die Frau ein Staubsaugerrohr. Erst auf den zweiten Blick bemerke ich, dass das Staubsaugerrohr über einen geriffelten Schlauch direkt in die Atemöffnung der Gasmaske führt.

„Was ist das denn?“, frage ich irritiert.

„Die neue Samstagabendshow des ZDF, der Nachfolger von ‚Wetten, dass…?‘. Es heißt…“

Christian blättert in der Fernsehzeitschrift. „… ‚Deutschland sucht den Superputzer‘. Moderiert von Hape Kerkeling. Im Wechsel co-moderiert von Carmen Nebel und Caroline Reiber. Unter der Schirmherrschaft von Ursula von der Leyen. Hier steht noch: Tolle neue Show für die ganze Familie. Zehn Kandidaten beweisen mit ihren innovativen Ideen, dass man im Haushalt Energie sparen kann, ohne auf Reinlichkeit verzichten zu müssen. Am Ende der Sendung votet das Publikum per SMS für ‚Deutschlands Superputzer‘.“

„Und das von unseren Gebühren!“, empöre ich mich, da legt die Staubsauger-Lady auch schon los. In atemberaubender Geschwindigkeit saugt sie eine grünliche körnige Substanz in ihr Rohr und reinigt in unter einer Minute eine Fläche von etwa zwei Quadratmetern.

Das Publikum klatscht frenetisch, Kerkeling und Reiber eilen enthusiastisch auf die Maskierte zu, Ursula von der Leyen und eine tief dekolletierte C- bis D-Prominente applaudieren anerkennend auf einer weißen Ledercouch.

Schnitt auf die Saugfrau in Großaufnahme. Als die Dame Anstalten macht, die Maske abzunehmen, greife ich schnell zur Fernbedienung und schalte den Apparat ab. Christian schaut mich fragend an.

„Ich hätte es nicht ertragen, ihr Gesicht zu sehen.“

Christian nickt verständnisvoll.

„Ich helfe dir schnell beim Abwasch, Schatz“, bietet er an. „Wollen wir danach zum Italiener?“

Dankbar lächele ich ihn an: „Sehr gern!“

Auf dem Weg zurück in die Küche frage ich mich: „Wo wird das alles nur enden?“

Vor dem Frühstück (Schau mal, Schatz – Episode 1)

„Schau mal, Schatz, was ich entdeckt habe!“ Strahlend hält Christian mir eine ovale Form aus Kupfer entgegen, mit einem Drehverschluss oben und vielen Dellen rundherum.

„Du warst also auf dem Flohmarkt?“ Ich hätte es wissen müssen, als er sich angeboten hat, frische Brötchen zu holen.

„Auf dem Weg zum Bäcker kommt man ja direkt daran vorbei. Und, was sagst du?“ Immer noch strahlend präsentiert mir Christian das stumpf glänzende Ding.

„Ist das was zum Kochen?“, frage ich.

„Nein, Schatz, das ist eine Bettflasche“, verkündet Christian fröhlich.

„Was? Zum Pinkeln nachts?“

„Nein, kein Nachttopf! Eine Wärmflasche ist das. Von bevor es den ganzen Plastikplunder gab. Ein echter Schatz, findest du nicht?“

Ich ignoriere, dass Christian dieses verbeulte Ungetüm bei meinem Kosenamen nennt. Ich erkundige mich auch nicht, wie viel er dafür ausgegeben hat. Und ich hinterfrage nicht die Sinnhaftigkeit dieser Neuerwerbung. Stattdessen freue ich mich über die glückliche Verklärtheit in Christians Blick und die kleinen Fältchen um seine Augen und den Mund.

„Die Bettflasche passt wunderbar in die große Vitrine zwischen den bronzenen Amor und das Gläserset aus Bleikristall!“

„Und die angerostete Küchenwaage, den gigantischen Aschenbecher aus Rosenquarz und all den anderen Kram…“, denke ich. Ich frage: „Hast du auch Brötchen mitgebracht?“

„Die mit den Kürbiskernen, die du am liebsten magst. Liegen auf dem Küchentisch.“

Ich küsse Christian sanft auf die Wange und schmiege mich kurz an ihn, so gut es mit dem Metallteil in seinen Händen geht. „Der Kaffee ist schon fertig“, sage ich.

Er küsst mich zärtlich zurück auf den Mund und stellt die Bettflasche auf der Kommode neben sich ab.

„Willst du sie nicht gleich zu Amor und dem Bleikristall bringen?“, frage ich.

„Das mache ich nach dem Frühstück mit dir“, antwortet Christian und zwinkert mir zu: „Sie läuft mir sicher nicht weg.“

kupferne Bettflasche

Neue Erkenntnisse

Carolas Suche, Teil 4
Was zuvor geschah…

Wenn Ihre Beziehung dauerhaft erfüllend sein soll, müssen Sie früh beginnen, eine Zisterne positiver Energie anzulegen. Wie eine Zisterne im Mittelalter den Wasservorrat einer Stadt gesichert hat, so können Sie mithilfe der Beziehungszisterne Trockenperioden oder konfliktbehaftete Phasen überbrücken. Füllen Sie Ihre Zisterne mit Momenten des Glücks, zärtlichen Worten und anderen Liebesbeweisen.

Carola schaute von der Frauenzeitschrift auf, in der sie wie in einer Fibel gelesen hatte. Gleich halb fünf. Nick verspätete sich. Vor sechs Wochen hatten sie sich beim Tanzkurs für Singles kennengelernt. Es folgten mehrere Verabredungen zum Nachmittagskaffee. Carola hatte jedes einzelne Treffen genossen. Nick war humorvoll, ein guter Zuhörer und äußerst charmant. Zugegeben, von sich selbst hatte er bisher kaum etwas preisgegeben. Und auf Carolas vorsichtigen Vorschlag letzte Woche, sie könnten doch auch einmal abends ausgehen, hatte Nick ausweichend reagiert. Zum Abschied hatte er Carola jedoch zärtlich geküsst. Auf der Heimfahrt im Bus hatte Carola gar nicht in der Frauenzeitschrift gelesen, wie sie es sonst immer tat.

„Es tut mir leid, Carola. Ich bin aufgehalten worden.“ Nicks Lächeln strahlte sie an. Schwungvoll hängte er sein Jackett über den Stuhl und setzte sich Carola gegenüber.

Gerade wollte sie sagen: Macht nichts, schön, dass du da bist; da blieb ihr Blick an Nicks linker Hand hängen.

„Nick, was ist das?“

„Was meinst du?“

„An deiner Hand. Was ist das?“

Nicks Strahlen fror ein. Carola starrte fassungslos auf das schmale goldene Band.

„Carola, bitte. Ich kann das erklären.“

„Nicht nötig!“

Carola nahm ihre Kaffeetasse und schüttete Nick den lauwarmen Rest ins Gesicht. Sie packte ihre Tasche und rannte aus dem Café. Draußen konnte sie die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie lief die Straße hinunter, ohne zu wissen, wohin. Allmählich wurden ihre Schritte langsamer, der Atem ruhiger, die Tränen trockneten.

Sie kam an einem kleinen Park vorbei und setzte sich auf eine sonnenbeschienene Bank. Jemand hatte eine Tageszeitung liegen lassen. Carola griff nach einem Teil und schlug wahllos eine Seite auf. ‚Kontakte‘ lautete die Überschrift. „Wie passend…“, dachte Carola. Sie las die erste Anzeige in der Rubrik ‚Er sucht Sie‘.

Eros (30, sportlich, attraktiv) sucht Venus (bis 25, max. 55 kg, blond). Wenn du auch so viel Spaß daran hast wie ich, dann melde dich. Chiffre 1236.

Direkt darunter stand:

Knuddelbär (39) sucht Kuschelmaus zum Knuddeln und Kuscheln. Ich hab alle Kuschelrock! Chiffre 3875.

Mit hochgezogenen Augenbrauen legte Carola die Zeitung beiseite. Sie holte ihr Handy aus der Tasche. Nick hatte fünfmal angerufen. Vielleicht sollte sie sich doch anhören, was er zu sagen hatte…

So geht es weiter…