Flohmarktgeschäft

„Etwas windschief ist sie schon“, sagte die blasse Dame mit leicht gerümpfter Nase. In ihren Augen erkannte ich jedoch einen Glanz, der verriet, dass sie die hölzerne Zigeunerin haben wollte. Aber nicht um jeden Preis, also würde ich geschickt verhandeln müssen.

„Eine solche Figur werden Sie an keinem anderen Stand auf diesem Markt finden. Auch sonst nirgends. Sie ist ein Unikat. Ein Erbstück meiner Urgroßmutter.“

Interessiert hob die Dame beide Augenbrauen. „Schön bauchig ist sie ja…“, sagte sie.

„Und sie hat ebenso tiefgründige Mandelaugen wie Sie“, schmeichelte ich.

„Oh. Finden Sie?“  Für einen Moment wurde die Dame rosa um die Wangen.

„Unbedingt! Die Figur ist übrigens sehr vielseitig einsetzbar. Sie passt ins Schlafzimmer oder auch ins Wohnzimmer, sogar im Esszimmer macht sie eine gute Figur, die Figur. Sie wertet jeden Raum und jedes Möbel auf.“

„Aber sie hat gar keine Brezel“, wandte die Dame ein, die Wangen wieder blass.

„Brezel? Was meinen Sie?“

„Na, das ist doch eine bayerische Sennerin. Warum hat sie keine Brezel?“

„Mon Dieu!“ Der Ausruf des älteren Herren im adretten Sommeranzug bewahrte mich vor einer Antwort. Der Herr nahm seine Sonnenbrille ab und steckte sie in sein volles graues Haar.

„Nach dieser Figur fahnde ich seit Jahren. Seit Jahren!“ Er streckte die Hand nach der bayerischen Zigeunerin aus, hielt inne und fragte mich: „Darf ich, Mademoiselle?“

Ich nickte. Er griff zu. Bestimmt, aber vorsichtig. Die Dame beobachtete. Der Herr drehte die Figur, besah sie von allen Seiten. Kniff erst ein Auge zu, dann das andere. Nahm die Figur nahe ans Gesicht und hielt sie am gestreckten Arm. Schließlich stellte er die Figur sanft auf meinen Verkaufstisch zurück.

„Ja, das ist sie. Sie ist bestimmt für meinen Söller. Von dort wird sie Passanten grüßen. Ich nehme sie. Was ist der Preis, Mademoiselle?“

Der Glanz in den Augen der Dame wurde zum Blitzen: „Moment mal! Ich habe die Figur zuerst gesehen. Was ist der Preis?“

Ich nannte den Preis. Der Herr lächelte milde, die Dame wurde kurz noch blasser, dann aber gleich rosa. Sie rief: „Ich nehme sie!“

Der Herr: „Ich biete 10 € mehr. Seit Jahren habe ich sie gesucht!“

Die Dame: „15 € mehr. Ich habe sie zuerst gesehen!“

Der Herr: „25 € mehr. Die Passanten soll sie grüßen!“

Die Dame: „30 € mehr. Sie hat meine Mandelaugen!“

Der Herr: „40 € mehr. Das Schicksal hat mich zu ihr geführt!“

Die Dame, inzwischen rot im ganzen Gesicht, schwieg. Mein Blick traf kurz den des feinen Herren.

Die Dame, erschöpft: „Sei’s drum. Auch ohne Brezel. 50 € mehr, das ist mein letztes Wort.“

Der Herr seufzte und setzte die Sonnenbrille wieder auf. „Meine Gnädigste, Sie haben gewonnen. Sie soll Ihnen gehören und Ihr Heim verzaubern.“ Ohne ein weiteres Wort zu mir ging er davon.

Die Augen der Dame leuchteten, die Wangen schimmerten in gesundem Rosé. Sie öffnete den obersten Knopf ihrer bestickten Bluse, während ich die Holzfigur sorgsam in Papier einwickelte. Die Dame reichte mir das Geld, ich ihr im Gegenzug die brezellose Zigeunerin in einer gebrauchten Plastiktüte. Mit schwungvollem Schritt entfernte sich die Dame.

„Psst“, hörte ich es hinter mir. Lächelnd drehte ich mich um. Der ältere Herr stand vor mir.

„Ach, Opa, du bist der Beste! Was dir immer für Geschichten einfallen. Was ist eigentlich ein Söller?“

„Das kannst du zu Hause im Lexikon nachsehen, meine Mademoiselle. Die Gute haben wir ganz schön ausgequetscht, was? Meinst du, wir müssen ein schlechtes Gewissen haben?“

„Ich glaube nicht, Opa. Die Zigeunerin ist den Preis ja wohl wert, oder?“

„Na, wenn du es sagst. Was kommt als nächstes?“

Ich überblickte den noch gut gefüllten Verkaufstisch. „Ah, ich weiß schon. Hier, der bemalte Porzellanspürhund.“

Mein Opa, der adrette Herr, riss vor Schreck die Augen auf: „Was für ein scheußlich buntes Ding! Mal sehen, was wir dafür rausholen.“

Wie zuvor postierte er sich zwei Stände entfernt, um auf mein Zeichen zu warten. Sein schelmisches Funkeln in den Augen konnte ich trotz seiner Sonnenbrille sehen.

2 Antworten zu “Flohmarktgeschäft

  1. Oho, Mademoiselle, ich hoffe, wir begegnen uns niemals mit dem adretten Herrn auf dem Flohmarkt! 😉

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  2. Madame, seien Sie stets auf der Hut! Auch in Australien gibt es adrette Herren auf dem Flohmarkt! 🙂

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