Jenseits der Moral: „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ von Michael Köhlmeier

Ein 650 Seiten dicker Wälzer mit einer irrwitzigen Lebensgeschichte. Joel Spazierer erlebt Abenteuer für fünf Romane.

Einige Beispiele: Als Kind flieht er aus dem kommunistischen Ungarn nach Österreich, und das zweimal. Er wird entführt und lernt dabei, wie man einen Pass fälscht. Er ist gern gesehener Gast in einer reichen Geschäftsfamilie und wird zum Mörder. Er wandert in den Knast, dealt mit Drogen und mordet wieder. Er bittet um Asyl in der DDR und macht von dort Stippvisiten nach Paris, New York und die Sowjetunion.

Joels Geschichte ist vollgepackt wie das Schicksal einer Seifenopern-Figur und insofern eher nicht realistisch. Das ist meiner Meinung nach gewollt und macht überhaupt nichts. Zimperlich geht es nicht zu; der Leser sollte also etwas vertragen.

Der Protagonist ist kriminell und ohne Reue. Gängige Moralvorstellungen bedeuten ihm nichts. Er lügt, betrügt und blendet. Und erntet dafür oft Anerkennung und Bewunderung. Er muss allerdings auch einstecken und das erträgt er ebenso gelassen wie er seine Taten begeht.

Das Erstaunliche: Joel ist sympathisch. Man mag ihn. Wie kommt das? Vielleicht, weil er weder prahlt noch jammert. Vielleicht, weil man seine Verlorenheit nachempfinden kann. Oder vielleicht, weil er in dem einen Fall, in dem er echte Verantwortung für eine andere Person übernimmt, scheitert und man mit ihm fühlt.

Einziger Kritikpunkt: Das Buch ist nicht chronologisch aufgebaut und das macht es manchmal schwer, sich zu orientieren. Was ist bereits passiert und was wird später passieren? Das ist ein bisschen störend, mindert den Genuss aber nicht wesentlich.

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