Glaube und Vertrauen

Die entscheidende Situation kam damals, in der 11. Klasse, vor über 20 Jahren. Im Katholischen Religionsunterricht bei Herrn M., einem kleinen, runden und herzensguten Menschen, sollten wir das Glaubensbekenntnis auswendig lernen, um es aufsagen zu können. Ich sollte also meinen Glauben an Gott, seinen Sohn Jesus Christus und den Heiligen Geist laut bekennen. Das konnte ich nicht.

Natürlich hätte ich die Worte lernen können, aber laut vortragen, dagegen sperrten sich Kopf und Körper. Es wäre eine Lüge gewesen. Ich glaubte nicht an den Gott der Katholischen Kirche. Den Heiligen Geist hatte ich nie begriffen. Einzig Jesus konnte ich etwas abgewinnen, durch Sätze wie: „Was du nicht willst das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Doch ernsthaft zu glauben, dass Jesus von einer Jungfrau zur Welt gebracht worden war, das war für mich unmöglich.

Mit Voranschreiten der Pubertät war mein christlicher Glaube bereits ordentlich ins Wanken geraten. Wir Frauen sollten also schweigen. Wir waren grundsätzlich schlecht, alle, von Natur aus. Wir waren Schuld an der Vertreibung aus dem angeblichen Paradies, weil wir nach Erkenntnis strebten. Erkenntnisgewinn war also verwerflich?

Das angeordnete Aufsagen des Glaubensbekenntnisses war der Windhauch, der das Kartenhaus zum Einsturz brachte. Mein Wechsel vom Religions- in den Ethikunterricht funktionierte problemlos. Aus der Kirche ausgetreten bin ich dann später. Bisher ohne Bedauern.

Geprägt von christlichen Werten und der christlichen Kultur bin ich natürlich dennoch und auch das bedaure ich nicht.

Auf Reisen besuche ich gerne Kirchen und das nicht nur aus kunsthistorischem und ästhetischem Interesse, ich finde dort meist Ruhe und manchmal sogar spirituelle Energie. Und es gibt noch einen sehr persönlichen Grund für die Kirchenbesuche: meine Großmutter.

Bei ihr habe ich als Grundschulkind viel Zeit verbracht, sie hat mittags für mich gekocht. Meine Großmutter hat mir immer das Gefühl gegeben, angenommen und geliebt zu sein. Sie war stolz auf ihr erstgeborenes Enkelkind und das hat sie stets alle wissen lassen. Meine Großmutter war nicht streng religiös und auch keine regelmäßige Kirchgängerin, aber gläubig war sie. Oft hat sie mir erzählt, wie sie in schweren Zeiten – und davon hatte es sicherlich viele gegeben – die Heilige Maria um Hilfe und Beistand gebeten hatte. Und danach ging es besser – oder zumindest ging es weiter.

Im Juni 2002 starb meine Großmutter und seitdem entzünde ich auf Reisen in Kirchen, in denen es möglich ist, eine Kerze, am liebsten am Marienaltar.

Meine Großmutter hat Maria vertraut und wurde nicht enttäuscht. Sie hat sich bei Maria sicher gefühlt. Und ich habe mich bei meiner Großmutter sicher gefühlt. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Die kleinen Lichter sind mein Zeichen dafür.

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