Eine zweite große kanadische Literatin ist Margaret Atwood. Geboren 1939 in Ottawa, verbringt sie die ersten sieben Lebensjahre in der Abgeschiedenheit einer Forschungsstation in den Wäldern Québecs – der Vater ist Insektenforscher. Die Einschulung und das Stadtleben in Toronto sind für Margaret ein Schock. Vielleicht ist diese Erfahrung des extremen Wechsels von Lebenswelten die Grundlage für Margaret Atwoods „Speculative Fiction“ (Werken also, die sich mit dem Denkbaren unter Anwendung von zur Verfügung stehenden Mitteln auseinandersetzen).
Besonders bekannt ist der 1985 erschienene Roman „Report der Magd“ (engl. The Handmaid‘s Tale). Eine fesselnde Dystopie, in der nach einer atomaren Verseuchung der USA ein Großteil der Bevölkerung unfruchtbar ist. Nach der gewaltsamen Machtübernahme durch christliche Fundamentalisten wird die Verfassung außer Kraft gesetzt. Frauen werden entrechtet; sie dürfen nicht mehr arbeiten und kein Eigentum besitzen. Sie werden streng in drei Gruppen eingeteilt: Ehefrauen von Führungskräften, Dienerinnen und Mägde. Mägde sind junge, gesunde Frauen, die als fruchtbar eingeschätzt werden. Sie werden einem Haushalt zugewiesen und sollen dort für Nachwuchs sorgen. Der regelmäßige Geschlechtsverkehr mit dem Hausherrn findet selbstverständlich im Beisein der Ehefrau statt und dient ausschließlich dem Zweck der Empfängnis. Kann eine Magd ihre Aufgabe als Gebärmaschine nicht erfüllen, droht die Abschiebung in die verseuchten Kolonien.
Eine erschreckende Wirklichkeit, die erschreckend vorstellbar ist und uns zeigt: Freiheit und Selbstbestimmung sind nie eine Selbstverständlichkeit, wir müssen sie bewahren und um sie kämpfen, sobald sie bedroht werden.