Monatsarchiv: Januar 2021

Autorin der Woche (04/2021)

Alice Munro wird 1931 in Ontario geboren und wächst in einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater betreibt eine Zeitlang eine Zucht für Silberfüchse und als die Geschäfte nicht mehr laufen, arbeitet er als Nachtwächter. Alice‘ Mutter erkrankt früh an Parkinson, schon als 10jährige muss Alice Verantwortung übernehmen. Nach zwei Jahren Journalismus-Studium geht das Geld aus, Alice heiratet 1951, wird Hausfrau und Mutter von vier Töchtern – und lebt ihre Schreibleidenschaft aus; in Kurzgeschichten, deren Stoff und Inspirationen an Alice‘ Tür klopfen. Viele Frauen der Nachbarschaft kommen auf eine Tasse Kaffee und schütten ihr Herz aus.

Alice Munro schreibt über ganz normale Menschen, erkundet die Abgründe hinter dem nach außen Unauffälligen, findet Sehnsüchte, Scham und Schicksalsschläge. 1968 erscheint ihr erster Erzählband, der mit dem wichtigsten kanadischen Literaturpreis ausgezeichnet wird. Da ist Alice 37 und ihre Töchter sind Teenager. Viele weitere Kurzgeschichtensammlungen und Auszeichnungen folgen; 2013 der Literaturnobelpreis. Alice Munros Stories fangen uns ein, nehmen uns mit in die Welt der Figuren, und auch wenn deren Welt überhaupt nicht wie die unsere ist, fühlen, leiden, bangen wir mit den Figuren mit und sind ganz bei ihnen.

Autorin der Woche (03/2021)

Schon lange kenne ich ihr Gedicht „Der Knabe im Moor“ und finde es wahrlich schaurig. Dass sie den 20-DM-Schein zierte, wurde mir erst bewusst, als ich schon längst mit Euro bezahlte. Und ein wenig mehr Wissen über ihr Leben besitze ich erst seit kurzem.

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) wird in eine alte katholische westfälische Adelsfamilie geboren und erhält eine gute Bildung. Sie fühlt sich früh dazu berufen, Dichterin zu werden und wird von ihren Eltern dahingehend gefördert. Durch ihre Wissbegier und ihre fehlende weibliche Sanftmut und Zurückhaltung eckt sie jedoch an – auch im Literatenkreis, der sich auf dem Bökerhof (eines der Güter von Annettes Familie mütterlicherseits) trifft, und zu dem unter anderem die Gebrüder Grimm gehören. Dass eine Frau geistreich ist und sich dem Schreiben widmet, wird in diesem Kreis noch wohlwollend betrachtet, aber dass sie ambitioniert ist, dass sie mit ihrem Werk in die Öffentlichkeit treten will, dass sie Anspruch auf Anerkennung erhebt, das ist nun doch des Guten zu viel.

Annette lässt sich nicht beirren: nach dem Fehlschlag ihrer ersten Publikationen wird sie ab 1840 höchst produktiv und sehr erfolgreich, sie profiliert sich zur bedeutendsten Balladenautorin ihres Jahrhunderts. Privat ist ihr kein dauerhaftes Glück vergönnt. Die zarte Liebesbeziehung zu Heinrich Straube (ein Protestant) wird durch eine Familienintrige zerstört und die spätere intensive Freundschaft zu Levin Schücking endet in einer Enttäuschung.

Wer in die Welt von Annette von Droste-Hülshoff eintauchen will, dem sei Karen Duves historischer Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ anempfohlen, der die Jahre 1819-1821 lebendig werden lässt.

Autorin der Woche (02/2021)

Lydia Davis, 1947 in Massachusetts geboren, ist eine Meisterin der kurzen Prosa. Ihre kürzesten Texte sind gerade mal eine Zeile lang; dann handelt es sich um Flash Fiction (oder Kürzestgeschichten im Deutschen).

Davis wirft schonungslose Blicke auf die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zwischen Eltern und (erwachsenen) Kindern und von Frauen zu sich selbst. Diese Blicke enthalten oft eine stattliche Portion Neurotizismus und Depressivität, aber kaum ein Augenzwinkern. Wohl deswegen war es keine Liebe auf den ersten Blick zwischen Davis‘ Texten und mir. Ihre Storys wären mit Ironie und Humor natürlich spaßiger und angenehmer für die Lesenden. Aber ganz offensichtlich sollen sie das nicht sein. Davis analysiert und formuliert messerscharf. Man sollte gut gelaunt sein, wenn man Lydia Davis liest – dann sind ihre Texte ein bissiges Vergnügen.

Vom Bild zum Wort: Autorin der Woche (01/2021)

Hinter uns liegen 61 Postkarten, mit denen wir durch Raum und Zeit gereist sind. 2021 tauchen wir in die Welt der Wörter ein, und auch diese werden uns durch Raum und Zeit tragen. Jede Woche treffen wir eine Autorin, deren Werk oder Persönlichkeit mich berühren, bewegen, beeindrucken. Ein Schlaglicht wird geworfen, mal auf ein einzelnes, für mich wichtiges Buch, mal auf außergewöhnliche Eigenschaften oder Lebensumstände der Schreibenden.

Wir beginnen mit Marion Zimmer Bradley (1930-1999), der Autorin von „The Mists of Avalon“. Die Artus-Saga, aus Sicht der Frauenfiguren erzählt, erschien 1982. Ich habe es 2001 gelesen und ich bin ganz und gar eingetaucht in diese Welt voller Magie und Zauberei; eine Welt der Zwänge und Gefahren, denen es zu trotzen gilt; eine Welt im Wandel, in der die alten Götter, die keltischen, an Einfluss verlieren und die neue Religion, das Christentum, immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Das Buch hat zwei Grundthemen: die Suche nach Freiheit und Selbstbestimmung und in Zusammenhang damit die kritische Auseinandersetzung mit Religion. 2001 waren diese Themen für mich sehr bedeutsam. Im März 2001 startete ich ins Berufsleben, wurde Teil eines Teams, brachte meine Leistung ein und hatte zum ersten Mal mehr Geld als ich brauchte. All das verschaffte mir ein wunderbares Gefühl von Eigenständigkeit (das übrigens bis heute anhält). Zur gleichen Zeit wurde mir immer mehr bewusst, dass die katholische Religion bei zu vielen Themen meinen persönlichen Überzeugungen widerspricht, vor allem hinsichtlich Rollen und Rechten von Frauen sowie Sexualität. Ich bin aus der Kirche ausgetreten und wurde stattdessen UNICEF-Patin.

Die Nebel von Avalon kamen 2001 für mich genau zur richtigen Zeit. Danke, Marion Zimmer Bradley!