Carolas Suche, Teil 6
Was zuvor geschah…
Als Carola die Stufen zu ihrer Wohnung im zweiten Stock hochstieg, waren die Tränen weggewischt und die Wut über Nicks Betrug begann, sich in stumme Resignation zu wandeln. Nachdem sie sich in den letzten Wochen langsam aber sicher in ihn verliebt hatte, war es heute ans Licht gekommen: Nick war verheiratet. Bei ihrem Treffen vorhin im Café hatte er seinen Ehering getragen. Deswegen hatte er bisher kaum von sich erzählt. Deswegen hatte er abends und am Wochenende keine Zeit für sie gehabt. „Du bist aber auch ein naives Küken“, schalt Carola sich selbst. „Wenn dir ein Typ erzählt, der Himmel ist grün, dann glaubst du es auch…“
Kaum hatte Carola ihren Schlüssel ins Schloss gesteckt, kam Frau Hintermeyer aus der Wohnung gegenüber heraus auf den Hausflur und streckte Carola einen riesigen Strauß roter Rosen und einen Briefumschlag entgegen.
„Frau Koch, Frau Koch, Ihr Bekannter war vorhin hier und hat das für Sie abgegeben. Sie waren ja nicht da.“
Nick! schoss es Carola durch den Kopf. Zögernd, aber freudig nahm sie die Blumen und den Brief.
„Der junge Mann sah sehr mitgenommen aus, wenn ich das so sagen darf…“
„Danke, Frau Hintermeyer“, antwortete Carola höflich, aber bestimmt und ging eilig in ihre Wohnung. Sie warf ihre Tasche in die Ecke, legte vorsichtig die Rosen ab und öffnete noch im Flur den Umschlag. Das Briefpapier duftete würzig-herb. Sie kannte das Parfum… David! Ihr Ex-Freund David, von dem sie sich vor gut fünf Monaten sehr schmerzhaft getrennt hatte. Seitdem Funkstille. Und jetzt rote Rosen? Unbewusst strich sich Carola über den Bauch, so als würde sie prüfen, ob da nicht vielleicht ein Einschussloch war, aus dem sie blutete.
Sie begann zu lesen: Liebe Carola, manchmal erkennt man die wahren Weisheiten erst im Sturm des Lebens. Ohne deine Liebe vertilgt mich die raue Realität. Lass es uns noch einmal versuchen! Dein David.
Die wahren Weisheiten? Die raue Realität? Carola nahm die Rosen und sog ihren schweren süßen Duft ein. Da klingelte das Telefon. Carola stand direkt daneben und nahm ab.
„Hallo?“
„Carola! David hier. Hast du schon… Ich meine, ich war heute bei dir, aber du nicht… Frau Hintermeyer hat dann…“
„Ich habe die Blumen und den Brief bekommen. Danke.“
„Carola, ich vermisse dich. Ich liebe dich noch immer. Können wir es nicht nochmal versuchen?“
„David, ich weiß nicht… Du hattest doch auch genug von unserem Bratkartoffelverhältnis.“
„Bratkartoffel… was?“
„Bratkartoffeln sind lecker. Und man isst sie mal mit Kräutern, mal mit Ei. Aber am Ende schmecken sie immer gleich.“
„Carola, diesmal können wir es doch anders machen. Besser! Wir können Pasta sein… und Reis. Oder Gemüse. Du magst doch so gern Gemüse.“
„Ach, David…“
„Eine Chance, das ist alles, was ich will. Ein Abendessen. Du bestimmst den Tag, um den Rest kümmere ich mich. Carola, ich hab‘ dazu gelernt.“
„Na ja, also…“
Es klingelte an der Tür.
„David, bleib einen Moment dran.“
Carola behielt das Telefon in der einen Hand und nahm mit der anderen den Hörer der Gegensprechanlage ab.
„Carola, hier ist Nick. Bitte, lass mich erklären. Es ist nicht so, wie du denkst. Lässt du mich herein? Bitte.“
Carola fühlte sich vollkommen überfordert. Der eine am Telefon, der andere an der Tür. Was nun? Plötzlich hatte Carola den Eindruck, sie trete aus sich heraus und stehe neben sich selbst. Sie lächelte sich an und sagte: „Carola, bleib ganz ruhig. Du weißt, was du willst, nicht wahr?“