Ein Lippenstift verliebte sich in eine Beißzange. Es war großes Glück, dass die beiden sich kennen lernten. Fehlender Ordnungssinn eines Menschen kam ihnen zugute. Nachdem der Mensch den Nagel eines ausgeblichenen Bildes im Badezimmer gezogen hatte, blieb die Beißzange liegen. Im direkten Blickfeld des Lippenstifts, dessen Platz neben dem Schminkspeigel war.
Die Beißzange hatte gleich die Aufmerksamkeit des Lippenstifts erregt. Ihr matt schimmerndes Metall, ihre wohlgeschwungene Form! Das leise Knacken, als sie den Nagel fest umschloss; das kaum hörbare Knirschen, als sie den Nagel ohne Umschweif aus der Wand zog!
Ach, wäre die Farbe des Lippenstifts nicht ohnehin schon „bright strawberry“ gewesen, er wäre vor Aufregung ganz rot geworden.
Wie groß war seine Freude, als die Beißzange liegen blieb! Tag und Nacht, Nacht und Tag betrachtete er sie und stündlich wuchs seine Verehrung. Nach einer Woche wagte es der Lippenstift: Er sprach die Beißzange an.
„Liebe Beißzange, wie sehr ich dich bewundere! Du bist alles, was ich sein will. Du bist kräftig, hart und stark. Dir steht die Welt offen, denn du kannst zupacken! Ich hingegen bin weich und schwach. Eine zu heftige Bewegung beim Auftragen und mein Leben ist vorzeitig zu Ende, abgebrochen. Solcherlei musst du nicht fürchten!“
Die Beißzange hörte dem Lippenstift gespannt zu. Insgeheim hatte sie schon seit Tagen gehofft, dass er sie ansprechen würde. Denn auch ihr war er sofort aufgefallen. Sie hatte genau beobachtet, wenn der Lippenstift zum Einsatz kam, erst neugierig, dann zärtlich und sehnsüchtig.
Sie sagte zu ihm: „Mein liebster Lippenstift. Deine Worte rühren mich. Doch es ist genau umgekehrt! Du bist, wie ich sein will. Geschmeidig, strahlend, anschmiegsam. Du bringst Farbe und Freude. Ich bin nur ein starres Werkzeug, du bist ein wahrer Künstler!“
Kaum waren diese Worte gesprochen, öffnete sich die Badezimmertür. Die Beißzange wurde von einer entschlossenen Hand gegriffen und fortgebracht. Die Chancen auf ein Wiedersehen der beiden standen schlecht. Das war zwar schade. Aber ihrer Liebe tat das keinen Abbruch.