Die Kirchturmuhr schlägt sieben Mal, als in Lucys Café die ersten Spiegeleier des Tages in der Pfanne brutzeln. Routiniert wendet Lucy die vier Eier, eins nach dem anderen. Markus nimmt seine Eier immer von beiden Seiten gebraten. Markus strahlt Lucy an, als sie den Teller vor ihn auf den Tisch stellt.
„Danke, Lucy, du bist die Beste!“
„Lass es dir schmecken, Markus.“
„Ja. Ach, Lucy…“ Markus fährt sich mit beiden Händen durch die ohnehin schon zerzausten blonden Locken.
„Ja?“
„Der Trank. Er ist fast alle…“
„Glaubst du wirklich, du brauchst ihn noch?“
„Ach, Lucy… Petras Liebe macht mich so toll, ich kann nicht riskieren, dass das aufhört!“
„Ich glaube, inzwischen verzauberst du Petra ganz allein.“
Vor dem großen Fenster zur Straße hin taucht ein dunkler Schatten auf. Lucy sieht Pfarrer Maier, auf den Weg in seine Kirche, wie immer in seiner übergroßen Soutane. Jeden Tag bleibt er vor ihrem Fenster stehen und schaut herein. Dabei verzieht er das Gesicht zu einer Grimasse, wie ein Spürhund, der Witterung aufnimmt. Wie üblich nickt Lucy ihm freundlich zu. Der Pfarrer sieht dann schnell weg und geht weiter. Seit fast drei Jahren hat Lucy das Café direkt neben der katholischen Kirche, aber noch nie hat Pfarrer Maier es betreten, noch nie ein Wort mit Lucy gewechselt.
„Jetzt iss erst einmal deine Eier, Markus, dann sehen wir weiter.“
Schwungvoll öffnet sich die Cafétür und Belinda tritt ein. „Lucy! Oh, Lucy! Dringend! Ganz dringend brauche ich deine Hilfe! Es ist eine Katastrophe!“
Sanft legt Lucy einen Arm um Belinda. „Beruhige dich. Willst du einen Espresso?“
„Dafür ist keine Zeit!“
Belinda drückt Lucy einen Stoffbeutel in die Hände. „Meine Tanzschuhe sind gerade kaputt gegangen. Der Absatz. Knickknack, ab war er! Du weißt schon, das waren die… Besonderen.“ Das letzte Wort flüstert Belinda Lucy ins Ohr. „Das hier in dem Beutel sind alte. Die sind an sich nicht schlecht, aber eben nicht… besonders. Heute Mittag habe ich ein Vortanzen. Bis dahin brauche ich wieder… besondere Schuhe. Du verstehst?“
Lucy sieht Belinda an. „Meine Schöne. Ich denke, du tanzt in allen Schuhen wunderbar. Denn das Besondere, das bist du.“
„Lucy, nein! Da wiehern ja die Gockel! Stürzen und hinfliegen werde ich ohne die besonderen Schuhe. Ich brauche sie!“
„Ich mache dir jetzt erst einmal einen Espresso, dann sehen wir weiter.“
Lucy brüht einen Espresso für Belinda auf, nimmt den blitzblank gegessenen Teller von Markus‘ Tisch und geht in die Küche.
Die Kirchturmuhr schlägt acht Mal, als Lucy zurück in den Gastraum kommt. In einer Hand hält sie ein fest verkorktes Fläschchen aus braunem Glas, das sie auf Markus‘ Tisch stellt. In der anderen Hand hat sie den Stoffbeutel, den sie Belinda überreicht. Markus küsst Lucy zum Dank sanft auf die Wange, Belinda hüpft vor Freude und umarmt Lucy stürmisch.
Die Kirchturmuhr schlägt neun Mal. Es sind keine Gäste im Café und Lucy poliert die Weingläser. Da erscheint der vertraute Schatten vor dem Fenster. Pfarrer Maier schaut herein. Lucy nickt ihm zu. Diesmal sieht er nicht weg. Er nickt zurück und versucht sich sogar an einem Lächeln. Damit nicht genug. Er öffnet die Tür und betritt das Café. Langsam zwar, zögerlich, aber er kommt herein.
„Grüß Gott“, sagt er und setzt sich an den Tisch, der der Tür am nächsten ist. „Einen Kamillentee, bitte.“
„Kommt sofort“, sagt Lucy lächelnd.