Als der Wecker heute Morgen klingelte, fand ich meine Decke am Fußende des Bettes. Seit über einer Woche hing eine unerträgliche Schwüle über der Stadt. Die wenigen harmlosen Gewitter brachten keine dauerhafte Abkühlung. Nicht ungewöhnlich für Ende Juli.
Ich genoss die kühle Dusche, und als ich mich fürs Büro fertig machte, freute ich mich auf den Abend. Ben und ich waren verabredet.
Mein Arbeitstag war vollgepackt und hektisch wie immer, für eine Mittagspause fehlte die Zeit und als ich zum ersten Mal zur Ruhe kam, war es kurz vor 20 Uhr. Aus dem stickig heißen Tag war ein angenehm lauer Abend geworden. Ich verließ die Firma und parkte zwei Straßen weiter, um auf Ben zu warten. Wenig später stieg er zu mir ins Auto.
Bei mir zu Hause ließen wir uns erschöpft auf dem Balkon nieder. Ich servierte Brot, ein wenig Käse und Oliven, Ben öffnete eine Flasche Rioja. Wir stießen darauf an, dass wir mit der Kampagne so reibungslos voran kamen. Ben küsste mich auf die Stirn und meinte fröhlich, so sei es eben, wenn man mit der Besten zusammen arbeite. Ich bedankte mich mit einem langen Kuss und wühlte dabei zärtlich in Bens Locken.
Nach dem Essen und dem ersten Glas Wein lehnte ich mich entspannt im Liegestuhl zurück. Liesl kam und sprang auf meinen Schoß. Ich nahm sie hoch und brachte sie zurück ins Wohnzimmer. Mir war unwohl, wenn sie auf dem Balkon war. Ich fürchtete, sie würde eines Tages hinunter springen oder fallen.
Kaum war ich wieder auf dem Balkon, klingelte es. Ben sah mich fragend an, ich zuckte mit den Achseln und ging zur Wohnungstür. Ich nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab.
„Wer ist da?“
„Hier ist Holger. Ich war beim Squash und dachte, ich komme vorbei. Vielleicht können wir zusammen etwas entspannen.“
„Nein!“, antwortete ich hastig und nervös. „Ich habe Besuch. Von einer alten Freundin. Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich hoffe, du verstehst das.“
„Kein Problem. Wir sehen uns morgen im Büro.“
Holger klang ein wenig enttäuscht, aber nicht verärgert. Ich legte den Hörer auf und als ich mich umdrehte, stand Ben vor mir.
„War das Holger?“
Ich nickte.
„Was wollte er so spät am Abend?“
Ich fand keine Worte und schaute stumm zu Boden.
„Janine, was ist los?“
Ich nahm meinen Mut zusammen und sah Ben ins Gesicht. „Holger und ich, wir haben uns in den letzten Wochen angefreundet.“
„Angefreundet? Was bedeutet das?“
Ich zögerte. Ben sah mich forschend an. Ich konnte ihn nicht belügen. „Wir schlafen ab und zu miteinander. Es ist einfach so passiert.“
Ben brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was ich gesagt hatte. „Du schläfst mit Holger?“
Mit einer Hand nahm er die Brille ab, mit der anderen fuhr er sich übers Gesicht und durchs Haar.
„Es tut mir leid, Ben.“ Ich machte einen Schritt auf ihn zu, doch er wies mich mit seinem ausgestreckten Arm zurück.
„Nicht, Janine. Ich will nichts mehr hören.“ Es waren Tränen in seinen Augen. Mit zitternder Stimme sagte er: „Ich kann das nicht ertragen.“
Dann ging er an mir vorbei zur Wohnungstür hinaus. Ich wagte nicht zu versuchen, ihn aufzuhalten.
Einen Moment lang blieb ich wie versteinert stehen, bevor ich weinend zu Boden sank. Ich murmelte Bens Namen vor mich hin. Liesl kam, sah mich fragend an und schmiegte sich an mich. Ich streichelte sie mechanisch.
Kurz darauf klingelte es wieder. Ich schrak auf und schob Liesl zur Seite. Ohne nachzufragen, wer da sei, drückte ich den Türöffner. Ich war sicher, Ben kam zurück, um mit mir zu reden. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, machte die Wohnungstür auf und lauschte regungslos den Geräuschen im Treppenhaus. Ich hörte, wie sich die Aufzugtür öffnete. Ich stellte mir vor, wie Ben gleich um die Ecke böge und mich in seine Arme nähme. Doch es war nicht Ben, der zu mir kam. Es war Martha.
*