Bald entwickelten Ben und ich eine Routine. Zwei- bis dreimal pro Woche trafen wir uns nach der Arbeit, während Martha glaubte, Ben sei noch in der Agentur. In meinem Wagen fuhren wir zu meiner Wohnung, aßen eine Kleinigkeit und öffneten eine Flasche Wein. Wir redeten, ließen den Arbeitstag noch einmal passieren, lachten, scherzten und wurden zärtlich. Manchmal hielt Ben mich einfach nur im Arm. Gegen zwei Uhr ging er dann zur U-Bahn oder nahm sich ein Taxi.
Es kam häufiger vor, dass Ben eine Verabredung kurzfristig absagte, weil eines der Kinder krank war und Martha ihn bat, früh nach Hause zu kommen. Einmal rief Martha gegen Mitternacht auf Bens Mobiltelefon an, als er bei mir war. Der Kleine habe einen schlimmen Husten und Martha sei unsicher, ob sie den Arzt rufen solle. Fünf Minuten später war Ben auf dem Weg nach Hause. Ich konnte nicht schlafen, nachdem er so plötzlich aufgebrochen war und setzte mich an meinen Computer.
Auf der Internet-Seite einer Lokalzeitung blieb ich an einem Werbebanner des Münchner Tierheims hängen. Unter dem Foto eines traurigen jungen Hundes stand: Bist du mein neues Zuhause? Auf der Seite des Tierheims wurden alle Tiere mit Bild und einem kurzen Text vorgestellt. Gleich als ich sie sah, schloss ich sie ins Herz. Kitty war eine etwa siebenjährige Katze mit zartem Gesicht und rot-weiß getigertem Fell. Vor zwei Wochen hatte sie jemand vor dem Seiteneingang des Tierheims ausgesetzt. Anschmiegsam und zutraulich sei sie, und es wurde empfohlen, sie in der Wohnung zu halten, möglichst ohne kleine Kinder.
Am nächsten Morgen rief ich beim Tierheim an und abends fuhr ich hin, um meine Katze zu holen. Zuvor kaufte ich einen Kratzbaum, Spielzeug, Streu, Futter und einen Transportkorb. Zuhause angekommen taufte ich sie auf den Namen Liesl.
Nach wenigen Tagen hatte sich Liesl an die neue Umgebung gewöhnt. Sobald ich abends die Wohnung betrat, strich sie mir wohlig schnurrend um die Beine und sah mich an, als würde sie fragen: „Wie war dein Tag?“ Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass zu Hause jemand auf mich wartete.
Ben reagierte sehr verhalten auf meine Mitbewohnerin. Er sorgte sich, dass ihre Haare an seiner Kleidung haften blieben und Martha misstrauisch werden würde. Ich tat seine Befürchtungen ab: Liesl haare so gut wie nicht und Ben müsse sie ja nicht zu nahe an sich heran lassen.
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Kurz nachdem Liesl bei mir eingezogen war, gab es eine Veränderung bei Janus. Ralf hatte die Agentur gemeinsam mit seinem besten Freund, Holger Wagner, gegründet. Nach zwei Jahren hatte Holger die Firma verlassen, um in London bei einem großen internationalen Beratungsunternehmen zu arbeiten. Jetzt kehrte Holger zu Janus zurück; ein Weg, den er sich bei seinem Fortgang offen gehalten hatte.
Zu Studienzeiten hatte ich Holger einige Male auf Partys von Ralf getroffen. Ich erinnerte mich an ihn als sportlichen, sehr attraktiven Typ, der viel Wert auf sein Aussehen und die Karriere legte. Äußerlich hatte sich Holger kaum verändert. Bei seiner Antrittsrede vor dem gesamten Janus-Team wirkte er erfreulich unaffektiert und kollegial.
Holger war der geborene Single. Keine seiner Beziehungen hatte länger als zwei Jahre gehalten und auch jetzt, mit Anfang Dreißig, war er nicht auf der Suche nach einer Ehefrau. Er ging jedes Wochenende aus, oft auch mit den Kollegen von Janus, mit denen ich mich traf. Als Ben hörte, dass Holger beim Ausgehen nun regelmäßig mit von der Partie war, nahm er es kommentarlos hin, aber ich spürte, dass es ihm nicht gefiel.
An einem Samstagabend im Mai zog ich mit etwa zehn Kollegen von Bar zu Bar, Holger war einer davon. Es herrschte beste Stimmung und es wurde viel getrunken, erst gegen vier Uhr morgens löste sich die Gruppe auf. Holger und ich teilten uns ein Taxi für den Heimweg. Als wir vor Holgers Haus ankamen, fragte er, ob ich nicht auf einen letzten Drink mitkommen wolle. Ohne nachzudenken sagte ich Ja. Holger servierte Espresso und Cognac. Ich war beeindruckt von seiner Wohnung, doppelt so groß wie meine und sehr edel eingerichtet. Holger erzählte Anekdoten aus seiner Zeit in London. Ich konnte kaum aufhören zu lachen, als er nachspielte, wie er in der Nähe des Buckingham Palace von einem Dutzend Touristen mit ihren Fotokameras verfolgt wurde, weil eine ältere Dame ihn für Prinz William gehalten hatte.
Danach ging alles sehr schnell. Wir küssten uns auf der Couch, wir waren im Bett, wir schliefen miteinander. Am nächsten Morgen weckte mich der Duft von kräftigem Kaffee und frischen Brötchen. Lachend begrüßte mich Holger, als ich unausgeschlafen und verkatert in die Küche kam. Dankbar nahm ich einen großen Schluck Kaffee. Die Unterhaltung war unverkrampft und Holger machte mir nichts vor. Eine feste Beziehung komme für ihn nicht in Frage. Mit einem entwaffnenden Lächeln fügte er hinzu, dass er mir mit Vergnügen jederzeit wieder Frühstück servieren würde, wenn es sich ergäbe. Wir verabschiedeten uns freundschaftlich.
Auf dem Heimweg versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Ich hatte das Gefühl, Ben betrogen zu haben. War das überhaupt möglich? Ich hatte die Nacht mit Holger genossen. Vollkommen frei und ungezügelt hatte ich mich gefühlt, wie in einem Rausch. Und das wollte ich wieder erleben. Ich hatte genug davon, das Opfer, die Betrogene, die Einsame zu sein. Keine Gelegenheit wollte ich mehr verpassen, mein Leben zu genießen.
In den kommenden Wochen verbrachte ich mehrere Nächte bei Holger. Ich achtete peinlich genau darauf, dass Ben nichts davon bemerkte.
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