Monatsarchiv: Februar 2013

Es müssen mehr Frauen aufstehen!

Ja, ich schaue gerne „Wer wird Millionär?“. Dort gibt es den so genannten Zusatz-Joker. Dabei darf eine einzelne Person aus dem Publikum bei der Beantwortung der Frage helfen. Wer aus dem Publikum meint, die Antwort zu kennen, steht auf und der Kandidat wählt eine Person aus.

Mein Eindruck ist – ohne statistisch geprüft zu haben – dass deutlich mehr Männer aufstehen als Frauen. Und deswegen(?) werden auch mehr Männer als Zusatz-Joker ausgesucht. Woher kommt das? Sind mehr Männer im Publikum als Frauen? Wahrscheinlich nicht. Wissen Männer mehr als Frauen? Natürlich nicht. Es stehen einfach mehr Männer auf.

Frauen stehen nur auf, wenn sie wirklich sicher sind, dass sie richtig antworten können – und vielleicht noch nicht einmal dann. Viele Männer springen schon vom Sitz, wenn sie eine ungefähre Ahnung haben – und verkaufen diese oft als fundiertes Wissen.

Diese Verhaltensmuster kenne ich aus eigener Erfahrung, privat und beruflich. Männer stellen Behauptungen auf, die sehr überzeugend klingen – und später stellt sich heraus, dass doch nicht alles so verlässlich war wie vorgetragen. Frauen neigen zum anderen Extrem. Sogar wenn sie etwas genau wissen, verwenden sie Formulierungen wie „ich glaube“ oder „es könnte sein“. An mir selbst habe ich das auch beobachtet – und mich darüber geärgert. Wenn ich doch sicher bin, warum sage ich es nicht klipp und klar?

Und es ist nicht nur die Wortwahl. Oft habe ich erlebt, dass ich etwas vorschlage oder anmerke und keine echte Reaktion erhalte. Zwei Minuten später sagt ein Kerl das gleiche und erntet die Lorbeeren – während ich noch darüber grübele, wo denn jetzt der Unterschied liegt zwischen dem, was ich gesagt habe und dem, was er gesagt hat. Die Antwort: Kein Unterschied. Nur: Er ist gehört worden und ich nicht. Weil er mehr Präsenz gezeigt hat, vielleicht lauter gesprochen hat als ich.

Das klassische Lernmodell kommt ins Spiel: Belohntes Verhalten wird verstärkt, ignoriertes Verhalten wird gelöscht. Männer werden immer forscher, Frauen irgendwann still.

Frauen müssen also lernen, ihr Wissen selbstbewusst mitzuteilen und Erfolg den eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben. Frauen brauchen den Mut, stark aufzutreten auch mal lauter zu sprechen als sie es normalerweise tun würden. Müssen sich trauen, zu widersprechen, wenn jemand Quatsch redet. Und sie müssen lernen, klar und einfach zu formulieren. Zumindest, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Details und Sonderfälle können im Anschluss vorgebracht werden. Ich selbst habe mich in den letzten Jahren ein gutes Stück in diese Richtung entwickelt. Und ohne Zweifel werde ich tatsächlich mehr gehört als früher.

Dies ist kein Plädoyer für verbales Rowdytum oder dummdreiste Verkündigungen, im Gegenteil. Zuhören und ehrliches Zugeben, wenn man etwas nicht weiß, sind unerlässlich. Ich finde nur, Frauen stehen häufig zu sehr in der einen und Männer in der anderen Ecke. Und wie meist im Leben ist es in der Mitte goldener als am Rand. In diesem Sinne freue ich mich über alle Frauen, die bei Jauch aufstehen und Kluges zum Besten geben.

Und wieder inspiriert von Ernst Jandl

Hier zwei neue Gedichte, ohne Titel, inspiriert von Ernst Jandl, diesmal „nur“ von der Form her.

1
der Lärm
die vielen Menschen
die verschiedenen Düfte
in der stickigen Luft
Balancieren mit dem Tablett
Ausschau halten nach einem freien Tisch
mittags in der Betriebskantine

 
2
die Wärme
die Brise
die sanfte Brandung
forschende Blicke nach beiden Seiten
ein verschmitztes Lächeln
zwei Handgriffe
das erste Mal oben ohne Sonnenbaden

 

Und hier die Vorlage von Ernst Jandl:

die kerze
das sträußchen
der matrosenkragen
die weißen zwirnhandschuhe
der scheitel
der nüchterne magen
erste hl. kommune

 

Ich stell mir vor…

Ich bin ein Schuh. Wenn ich in einer Reihe mit anderen Schuhen stehe, falle ich auf den ersten Blick kaum auf. Mein Leder ist schwarz, leicht glänzend. Angenehm weich, aber nicht zu empfindlich. Gepflegt werden muss es natürlich schon.

Ich passe nicht jedem. Selbstverständlich bin ich ein Stück weit flexibel, wenn ein Fuß mich anzieht. Doch nur ein Stück, nicht mehr.

Passt ein Fuß zu mir – und ich zu ihm – steht die Welt uns offen. Dann werde ich ihn begleiten, ohne zu drücken. Und er wird mich gar nicht mehr ausziehen wollen.