Hausmeister Gestriger räumt auf

Die blonde Studentin war ihm schon länger ein Dorn im Auge. Wäre das Blond lang und ihre Figur kurvig, das wäre etwas anderes. Doch Tanja Stein war sportlich-sehnig und ihr Haar maß kaum zwei Zentimeter. Gar nicht so, wie Hausmeister Gestriger sich seine Mieterinnen wünschte.

Herrenbesuch bekam Tanja Stein nie, dafür empfing sie jeden Dienstagabend eine Gruppe von fünf Frauen. Immer dieselben. Sie kamen um Acht und blieben bis nach Zehn. Gestriger nahm an, sie waren auch Studentinnen. Zwei waren ebenso burschikos wie Tanja Stein und eine war fett, fand Gestriger. Aber zwei hatten langes brünettes Haar und knackige Hintern, die waren schon eher nach seinem Geschmack. Lärm machten sie keinen, aber die Regelmäßigkeit ihrer Treffen machte Hausmeister Gestriger misstrauisch.

Als er Tanja Stein kurz nach ihrem Einzug bei den Briefkästen begegnet war, hatte er sie gefragt, was sie studiere. „Psychologie“, hatte sie geantwortet. Gestriger hatte aufgehorcht. „Schwerpunkt Gender Studies“, hatte sie ergänzt. Gestriger hatte nachfragen müssen. „Dabei geht es um die Rollen von Frau und Mann, in Beruf und Gesellschaft.“ Gestriger hatte stumm genickt. In seinem Kopf hatte sich ein Wort geformt: Emanze.

Ein paar Wochen später ragte aus dem Briefkasten von Tanja Stein eine Zeitschrift. Gestriger zog das Magazin vorsichtig aus dem Briefkastenschlitz. Auf dem Titel prangten vier Buchstaben: E – M – M – A. Gestrigers Augen weiteten sich. Er warf die Zeitschrift in die große Papiertonne im Hinterhof. Danach wusch er sich lange die Hände.

„Die wird noch Ärger machen“, dachte Gestriger. „Die feiern dienstags lesbische Orgien. Und das in meinem Haus! Das muss aufhören!“

Das Fass zum Überlaufen brachte ein Angebot von einer Druckerei, adressiert an Tanja Stein. Der Umschlag war dem Postboten wohl aus der Tasche gefallen, jedenfalls lag er am Boden vor den Briefkästen, wo Gestriger ihn fand. Der Umschlag war nicht zugeklebt und Gestriger warf einen Blick hinein: 15 Transparente, 350 x 150 cm, Aufschrift: Stoppt Prostitution! Und: 20 Poster, DIN A1, Aufschrift: Für Menschenwürde, gegen Frauenkauf!

„Jetzt reicht’s!“, dachte Gestriger.

Wenige Tage darauf traf er Tanja Stein im Treppenhaus. Sie besaß die Unverfrorenheit, ihn nach ihrem männerfeindlichen Hetzblatt zu fragen. „Nein, da ist nichts gekommen“, sagte Gestriger und blickte zu Boden. Erst da sah er die Krücken, an denen Tanja Stein ging, und den eingegipsten Unterschenkel. „Ein Unfall beim Mountain Biking. Das wird schon wieder“, erklärte sie zuversichtlich.

Zurück in seiner Wohnung rieb Gestriger sich die Hände. „Das ist die Gelegenheit“, dachte er und griff zum Telefon.

Am nächsten Abend, zehn nach Sechs, wartete Gestriger an der Straße vor dem Hauseingang. Um die Uhrzeit kam Tanja Stein üblicherweise nach Hause. Gleich musste sie, von der Bushaltestelle kommend, um die Ecke biegen. Da war sie schon! Trotz der Mühsal mit den Krücken ein Lächeln im Gesicht. „Das wird dir noch vergehen“, dachte Gestriger zähneknirschend.

Er gab ein Zeichen mit der Hand und vom anderen Ende der Straße fuhr langsam ein grauer VW-Bus heran. Der Wagen hielt auf gleicher Höhe mit Tanja Stein. Zwei Männer mit dunklen Sonnenbrillen und tief ins Gesicht gezogenen Schirmmützen sprangen aus der Seitentür, packten die Studentin und zerrten sie in den Kleinbus. Die Tür wurde zugeschlagen und der Fahrer gab Gas. Als er Gestriger passierte, nickten die beiden Männer sich zu.

„Auf die Kumpels ist Verlass“, dachte Gestriger. Die Kumpels wussten, was zu tun war. Nicht begrapschen, nicht verletzen, nur etwas einschüchtern. Sollte Tanja Stein zur Polizei gehen, stände Wort gegen Wort.

Gestriger wollte schon zurück ins Haus, da sah er Tanja Steins Krücken auf dem Gehweg liegen. Er schlenderte hinüber, hob die Krücken auf und steckte sie in den Mülleimer, der am nächsten Laternenpfahl hing. Natürlich passten die Krücken nicht ganz hinein, sie standen ein gutes Stück über, aber Hausmeister Gestriger war zufrieden. „Ordnung muss sein!“, dachte er.

2 Antworten zu “Hausmeister Gestriger räumt auf

  1. Ordnung muss sein! – sehr gut. 🙂

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