Eine Vorstellung war anscheinend besonders schlimm. Während dieser haben nicht nur viele Besucherinnen und Besucher den Saal verlassen, sondern im Anschluss auch ihre teils langjährigen Abonnements gekündigt. Seitdem bietet das Ensemble nach jeder Vorstellung ein Publikumsgespräch an.
„Kasimir und Karoline“ ist ein Volksstück von Ödön von Horváth, uraufgeführt 1932 in Berlin. Schauplatz ist das Münchner Oktoberfest. Karoline will sich amüsieren, ihr Verlobter Kasimir ist hingegen deprimiert. Er hat tags zuvor seine Anstellung als Chauffeur und vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise damit auch jegliche finanzielle Sicherheit verloren. Er betrinkt sich mit dem Kleinkriminellen Merkl Franz und dessen Freundin Erna. Karoline lässt sich derweil von gut situierten Männern einladen und träumt vom sozialen Aufstieg.
Das Stück zeigt eine Gesellschaft, die am Abgrund taumelt. Verzweifelt und ohnmächtig die einen, aufgekratzt und zügellos die anderen. Die allgegenwärtige latente Aggression kann sich jederzeit in brutaler Gewalt entladen – und sie tut es auch. Die Sprache ist deftig, teils abfällig und herabwürdigend. Keine der Figuren behält eine weiße Weste; alle sind auf ihren eigenen Vorteil bedacht und lassen im Zweifel andere dafür im Stich. Horváths Bezug auf den aufkommenden Nationalsozialismus übersetzt die Erlanger Inszenierung in den heutigen Populismus und baut ein Höcke-Zitat ein.
Woher rührt nun die Aufregung? Halten es manche Menschen nicht aus, wenn man ihnen im Theater Hässliches und Ekliges zeigt? Wenn man ihnen den Spiegel vorhält? Wenn man Parallelen zwischen der Weimarer Republik und heute aufzeigt?
Verstärkt wird die Wirkung des Stückes dadurch, dass der Zuschauerraum mit zum Spielraum für die Schauspieler wird. So sitzen die Zuschauer mittendrin, wie im Bierzelt auf dem Volksfest, und können sich nicht entziehen. Es sei denn, sie verlassen den Saal.
Mich hat die Vorstellung gestern Abend sehr beeindruckt. Die Atmosphäre war intensiv, teils verstörend, alles kam sehr nah. Näher, als man es als Zuschauer gewohnt ist. Und wohl näher, als einige es sich wünschen. Die Inszenierung provoziert, polarisiert und lädt ein zum Nachdenken und Diskutieren. Sie tut, was Theater tun kann und sollte.
„Kasimir und Karoline“ im Theater Erlangen: Noch zweimal in dieser Spielzeit und dann wieder ab Oktober.