Mein Erlanger Poetenfest 2018

Der Lesenachmittag am Samstag (25.08.) startete wegen leichten Regens im Redoutensaal. Ab der 3. Lesung wurde nach draußen in den Schlossgarten verlegt. Regen gab es keinen mehr, aber ein frischer Wind blieb bis zum Abend. Ich war sehr froh über meine mitgebrachte grüne Kuscheldecke… Das Programm: abwechslungsreich, spannend, unterhaltsam, berührend.

Meine Highlights am Samstag:

  • Alex Capus: „Königskinder“. Das streitlustige Ehepaar Max und Tina wird im Auto auf einem Gebirgspass eingeschneit. Bis die beiden von der Schneefräse befreit werden, erzählt Max eine Liebesgeschichte aus der Zeit kurz vor der Französischen Revolution. Leichtfüßig und mit Schweizer Charme erzählt.
  • Kristine Bilkau: „Eine Liebe, in Gedanken“. Nach dem Tod der Mutter entdeckt die Tochter in Briefen und Tagebucheinträgen deren lang vergangene Liebesbeziehung zu Edgar, die wohl kein Happy End fand. Die Leseprobe war stimmungsvoll und einfühlsam.
  • Maike Wetzel: „Elly“. Ein elfjähriges Mädchen, Elly, verschwindet auf dem Weg zum Judo-Unterricht spurlos. Die Eltern und die ältere Schwester sind seitdem in der Zeit gefangen. Die abwesende Elly hat sie alle im Griff und lässt sie nicht weitergehen. Atmosphärisch dicht und psychologisch hochinteressant.
  • Anne Reinecke: „Leinsee“. Karl, Sohn eines erfolgreichen Künstlerpaars, mit 10 ins Internat verfrachtet, kehrt in sein Elternhaus zurück, nachdem der Vater sich umgebracht hat und die Mutter aufgrund eines Hirntumors pflegebedürftig geworden ist. Eine tragische Familiengeschichte, humor- und gehaltvoll erzählt.
  • Tanja Maljartschuk: „Frösche im Meer“. Der Text, der den diesjährigen Bachmann-Preis gewonnen hat, erzählt berührend und gewitzt von einem Arbeiter aus der Ukraine, der ohne Pass illegal in Wien lebt, und einer dementen alten Dame. Überzeugend und bezaubernd vorgetragen.

Der Sonntag (26.08.) entschädigte mit strahlendem wärmenden Sonnenschein für den kühlen Samstag. Der Funke sprang bei den Lesungen jedoch nicht so richtig auf mich über.

Erwähnenswert:

  • Lucy Fricke: „Töchter“. Roadnovel mit trockenem, selbstironischem Witz.
  • Christian Uetz: „Engel der Illusion“. Lyrik, für mich weitgehend unverständlich, aber beeindruckend leidenschaftlich-furios vorgetragen.
  • Maria Cecilia Barbetta: „Nachtleuchten“. Die Geschichte kleiner Leute in einem Vorort von Buenos Aires am Vorabend der argentinischen Militärdiktatur.
  • Angelika Klüssendorf: „Jahre später“. Dritter Teil einer Trilogie, im Mittelpunkt ein Mädchen, aufgewachsen in der DDR, später in die BRD ausgewandert, Erzählzeit: kurz vor der Wende 1989.

Wirklich berührt hat mich am Sonntag ein Projekt der Auslandskorrespondentin Susanne Koelbl. „The Poetry Project“ ermöglicht es jungen Geflüchteten durch das Schreiben von Gedichten ihre eigene Stimme zu finden. Auf dem Nebenpodium präsentierten etwa acht Jugendliche aus dem Projekt ihre Gedichte. Eine 15-jährige kurdische Syrerin, die seit drei Jahren in Deutschland lebt, auf Deutsch, die anderen in ihrer Muttersprache, gefolgt von der deutschen Übersetzung, vorgetragen von einem Vorleser.
Zunächst war ich bewegt von den Worten über verlorene Heimat und Familie, über die Schrecken der Flucht. Und dann, es blitzte erst kurz auf und wurde immer klarer: Trotz aller Traumata, trotz aller Unterschiede der Kulturen: Da stehen junge Menschen; auf der Suche nach sich selbst, nach Liebe und Anerkennung, nach ihrem Weg und ihrem Platz. Dinge, nach denen auch ich als Jugendliche gesucht habe.
„Es ging darum, die Fremdheit zu überwinden. Die Poesie als Brücke schien ein guter Anfang.“, steht auf der Website des Poetry Project und ich denke, das ist eine sehr gute Idee.

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