Sehr erstaunt, nein vielmehr entsetzt und fassungslos haben sie heute Morgen dreingeschaut, der Museumsleiter, die Bürgermeisterin und der Vorsitzende des Vereins zur Heimatpflege, als sie die Sonderausstellung „50 Gegenstände erzählen aus ihrem Leben“ eröffnen wollten. Denn als sie gemeinsam mit den geladenen Gästen den Ausstellungsraum im Dachgeschoss unseres Heimatmuseums betraten, mussten sie feststellen, dass Teile der Ausstellung völlig verwüstet waren. Die prächtige Flitterkrone der Dorfkönigin lag zertrampelt auf dem Boden. Die Vitrine, in der sie aufbewahrt war, zerschlagen, Glassplitter überall. Sämtliche Heiligenstatuen umgeworfen, von vielen die Köpfe abgehackt. Das Bettzeug aus dem historischen Ehebett zerfetzt, Federn aus den Kissen im Raum verteilt. Das spitzenbesetzte Hochzeitskleid in Stücke zerrissen.
Andere Ausstellungsstücke hingegen waren völlig unbeschädigt. Die alten Bierkrüge und die verblichenen Postkarten standen unberührt in ihren Regalen. Die mittelalterlichen Münzen und die bronzezeitlichen Schmuckstücke lagen genauso unter ihren Glasscheiben, wie der Museumsleiter sie höchstpersönlich vor einigen Tagen arrangiert hatte.
Aber für diese Gegenstände interessierte sich in dem Moment natürlich niemand. Der Vertreter der Lokalpresse begann sogleich, Fotos von der Zerstörung zu machen. Die Bürgermeisterin fasste sich recht schnell wieder, richtete beruhigende Worte an die Gruppe und versuchte, sie sanft zum Treppenaufgang zu schieben. Das gelang nicht besonders gut, denn die Menschen sind neugierig, das weiß ich aus Erfahrung.
Der Museumsleiter stand wie versteinert da und starrte auf die plattgedrückte Flitterkrone, eines seiner liebsten Stücke, das hatte er sehr vielen Leuten sehr oft erzählt. Auch der Vorsitzende des Heimatvereins war tief erschüttert. Die Hände mal vorm Mund, mal auf dem Kopf, dann wieder unschlüssig in die Hüfte gestützt, murmelte er unablässig: Wer tut so etwas? Wer tut so etwas? Wer tut nur so etwas?
Nun, ich hätte es ihm sagen können. Ich bin heute Nacht ja dabei gewesen, als es passiert ist. Erstaunt darüber, dass sie es getan hat, war auch ich, das können Sie mir glauben. Denn ich kenne sie schon eine Weile und das passt gar nicht zu ihr. Seit wann ihr Geist im Museum wohnt, weiß ich nicht. Sie war bereits hier, als ich ankam. Sie ist ein angenehm anzuschauender Geist. Eher klein, zierlich, langes silberglänzendes Haar. Sie war bestimmt eine schöne Frau und ich glaube, sie ist jung gestorben. Die meiste Zeit verbringt sie im Synagogenraum, steht oft stundenlang vor der Thora oder dem Hochzeitsbaldachin. In Neumondnächten sehe ich sie manchmal durch den Innenhof streifen, dabei schluchzt sie leise.
Als sie letzte Nacht den Raum der Sonderausstellung betrat – es war weit nach Mitternacht und ich hatte es mir in meiner Lieblingsecke gemütlich gemacht – war ich durchaus überrascht. Dann sah ich die Axt in ihrer Hand. Die hatte sie sicher aus der Abteilung mit den Werkzeugen und Waffen der frühen Eisenzeit. Erst hat sie sich nur umgesehen, ist von Vitrine zu Vitrine gegangen, ganz so, als wäre sie eine interessierte Besucherin. Vor den Heiligenstatuen stand sie lange, scheinbar völlig ruhig. Doch dann erhob sie die Axt und räumte damit die bemalten Holzfiguren von ihren Regalen. Sie schrie: Eure Schuld! Es ist eure Schuld, nicht meine! Während sie das immer wiederholte, hackte sie auf die Heiligen ein. Noch nie zuvor hatte ich sie schreien hören. Danach wandte sie sich der Flitterkrone zu. Sie zerschlug deren Glaskasten, stieß die Krone zu Boden und trampelte darauf herum. Sie rief: Ich! Ich hätte Königin sein sollen! Danach zerstörte sie das Bettzeug und das Brautkleid. Dazu brauchte sie die Axt nicht mehr, die zerriss sie mit ihren schmalen Händen und weinte laut dabei. Irgendwann wurde das Weinen leiser, zu dem Schluchzen, das ich kenne. Und dann ging sie wieder. Ich bin ihr gefolgt. Sie ist über den Hof zurück in die Synagoge und hat sich dort neben den Hochzeitsbaldachin gekauert.
Wie es sein kann, dass ein Geist eine Axt führt und mit seinen Geisterhänden Stoff zerreißt, das dürfen Sie mich nicht fragen. Dazu verstehe ich zu wenig von Geistern. Die Ausstellung konnte heute jedenfalls nicht eröffnet werden, stattdessen kam die Polizei und befragte die Herrschaften als Zeugen. Niemand konnte etwas Hilfreiches aussagen. Mich hat man natürlich nicht befragt. Sie haben mich ja gar nicht bemerkt. Vermutlich hätten sie meine Geschichte eh nicht geglaubt. Mir soll es recht sein. Als Museumsmaus bleibe ich ohnehin lieber im Verborgenen.