Monatsarchiv: März 2019

Lyrik der Woche (13/2019)

Bei sehr vielen Dingen lohnt es sich, genau hinzusehen (z.B. Lyrik der Woche (10/2019)). Manchmal sollte man es aber lieber lassen.

Genau besehn

Wenn man das zierlichste Näschen
Von seiner liebsten Braut
Durch ein Vergrößerungsgläschen
Näher beschaut,
Dann zeigen sich haarige Berge,
Dass einem graut.

Joachim Ringelnatz

Lyrik der Woche (12/2019)

„Sowing the Seeds of Love“ ist ein fabelhafter Song der englischen Band Tears for Fears aus dem Jahr 1989, geschrieben zu Beginn der dritten Amtszeit Margaret Thatchers und somit vor dem zugehörigen politischen Hintergrund einer gewissen sozialen Kälte zu verstehen.

Ein Aufruf, nicht stumm zu bleiben, sondern Stellung zu beziehen – für ein Miteinander, nicht Gegeneinander.

Die Zeiten heute sind andere, aber Liebe zu säen wird immer eine gute Idee sein.

High time we made a stand and shook up the views of the common man
And the lovetrain rides from coast to coast
D.J.’s the man we love the most

And anything is possible when you’re Sowing the Seeds of Love
Anything is possible – Sowing the Seeds of Love

Feel the Pain
Talk about it
If you’re a worried man – then shout about it
Open hearts – feel about it
Open minds – think about it
Everyone – read about it
Everyone – scream about it!

And I believe in lovepower, LovePower, LOVEPOWER!!!

Ein Moment in Cilaos

Zwölf Jahre ist es her. Verloren fühlte ich mich; einsam, allein, nicht unglücklich, aber ruhelos und ohne Ziel. Auf der Suche nach mir selbst flog ich weit in den Süden, auf eine kleine Insel im Indischen Ozean, La Réunion, zu Frankreich gehörend.

Mit dem Mietwagen bereiste ich die Insel auf einer vorgeplanten Route, jeden Tag eine andere Station. Die dritte oder vierte Etappe brachte mich nach Cilaos, einen Ort im Inselinneren, in einem sattgrünen Talkessel gelegen. Mir schien es, als verginge die Zeit dort langsamer als anderswo. Die Luft war feucht und warm, aber weniger drückend als an der Küste. Von den Berggipfeln senkten sich Wolken hinab und ich glaubte fast, sie berühren zu können. Sehr viel gab es im Ort nicht zu sehen. Eine modern gebaute Kirche, einige der typischen kreolischen Häuser, ein, zwei Restaurants, ein, zwei kleine Läden. In einen ging ich hinein; dort gab es Tee, Kräuter, Räucherstäbchen. Sicher duftete es nach Vanille, Bourbon-Vanille, früher ein wichtiges Exportgut.

Ich kann mich nicht erinnern, ob ich ihn sofort nach dem Betreten des Ladens gesehen habe oder erst, nachdem ich mich ein wenig umgeschaut hatte. Aber als sich unsere Blicke trafen, wurde mir heiß, mein Herz schlug schnell, ganz schnell, und die Zeit stand für einen winzigen Moment lang still. Und auch, wenn ich es nicht wirklich wissen kann, so bin ich mir ganz sicher, dass es ihm genauso ging. Er stand hinter der Ladentheke aus Holz und fragte freundlich, ob er helfen könne. Ich verneinte ebenso freundlich und bemühte mich sehr, mich auf die Waren in den Regalen zu konzentrieren. Dabei hätte ich lieber nur ihn angeschaut. Ich denke, er war ein paar Jahre jünger als ich damals, etwa Ende Zwanzig. Sein hellbraunes Haar ein wenig zerzaust, wie sein Bart. An seine Augenfarbe erinnere ich mich nicht, aber sein Blick war offen und sanft.

Natürlich kaufte ich etwas, bestimmt etwas mit Vanille; ich weiß nicht mehr, was. Beim Bezahlen fragte er mich, woher ich käme und ob es mir hier gefalle. Wahrscheinlich antwortete ich auf Englisch, denn mein Französisch war auch damals schon ziemlich eingerostet. Dann erzählte er, dass er mit guten Freunden außerhalb des Ortes auf einer Art Farm lebe und dass an diesem Abend weitere Freunde zu einem kleinen Fest kämen. Wenn ich wolle, sei ich herzlich willkommen. Er beschrieb mir den Weg und ich glaube, er notierte die Adresse auf einem Blatt Papier. Ich bedankte mich und sagte, ich würde es mir überlegen.

Nichts wünschte ich mir in diesem Augenblick sehnlicher, als den Abend und vielleicht auch die Nacht mit diesem Mann zu verbringen. Ich stellte mir gar vor, wie wir gemeinsam in der Farm-Kommune leben, Süßkartoffeln anbauen und auf ewig glücklich sind – und doch wusste ich, dass ich an diesem Abend in meinem Hotel bleiben, früh zu Bett gehen und am Morgen darauf zu meiner nächsten Etappe aufbrechen würde.

Und so war es auch. Kurz danach dachte ich sehr oft an diese Begegnung, im Lauf der Zeit dann immer seltener. Ab und zu erinnere ich mich heute noch an diesen Moment, diesen magischen Moment, in dem ich in den sanften, bärtigen jungen Mann im Teeladen in Cilaos verliebt gewesen bin.

Lyrik der Woche (11/2019)

Unbestreitbar, der Frühling kommt. Und er hat Wind dabei. Hugo von Hofmannsthal schrieb folgende erste Strophe für sein Gedicht „Vorfrühling“.

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Lyrik der Woche (10/2019)

Dass der Mond aufgegangen ist und die goldnen Sternlein prangen, das wissen wohl die meisten. Interessanter als die erste finde ich die dritte Strophe von Matthias Claudius‘ Abendlied:

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Das Abendlied, 1779 zum ersten Mal veröffentlicht, verbreitete sich sehr schnell und nachhaltig im deutschen Sprachraum. Vertont wurde es im Lauf der Zeit laut Wikipedia über 70 Mal, 1790 von Johann Abraham Peter Schulz, und dessen Melodie kennt auch Herbert Grönemeyer.

Man kommt nicht als Frau zur Welt

Ich glaube nicht daran, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts von Geburt an für bestimmte Domänen oder Disziplinen besser oder schlechter geeignet sind.

Nicht alle Männer können besser programmieren als Frauen.
Nicht alle Frauen können besser kommunizieren als Männer.

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Das Schlüsselzitat aus Simone de Beauvoirs Werk „Das andere Geschlecht“ bringt es für mich auf den Punkt.

Ich will in einer Gesellschaft leben, in der Chancengleichheit eines der allerwichtigsten Ziele ist. Dazu gehört auch, dass Kinder vornehmlich Kinder sind – und nicht Mädchen (die sich nicht schmutzig machen und herumtoben dürfen) oder Jungen (die nicht weinen und mit Puppen spielen dürfen).

Das ist mein Wort zum heutigen Weltfrauentag.

Madeira 2018 – Teil 6: Santana

Von unserem Hotelzimmer in Santana konnten wir jeden Morgen den Sonnenaufgang beobachten. (Im Oktober ist der nach acht Uhr, da bin auch ich schon wach.) Hier eine Auswahl der entsprechenden Fotos – in die sich auch zwei Sonnenuntergangsbilder gemischt haben.

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Seinen Namen hat Santana von der Heiligen Anna. In der kleinen Barockkirche Santanas findet sich ein Altarbild der Santa Ana; begrüßt wird man im Eingangsbereich jedoch von der Muttergottes samt Kind. Im Ortszentrum wurden einige der traditionellen Strohdachhäuschen zu touristischen Zwecken neu gebaut. In ihnen findet man die Touristeninfo und ein paar ganz nette Souvenirlädchen.

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Unser Hotel, die Quinta do Furāo, mutet paradiesisch an. Eine herrliche Lage direkt an der Steilküste mit fantastischem Ausblick. Ein wunderbarer Garten mit bunten Blüten und Weinreben. Ein Ort für Ruhe und Müßiggang. Das Eiligste dort sind die Eidechsen, die sich auf den Steinmäuerchen sonnen und flink in die Mauerritzen fliehen, wenn man ihnen zu nahe kommt.

Auch beim zweiten Mal hat uns Madeira verzaubert. Und wer weiß, vielleicht kommen wir irgendwann ein drittes Mal.

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Lyrik der Woche (09/2019)

1832 schrieb Heinrich Heine sein Gedicht „Das Fräulein stand am Meere“, in dem er übertriebene Romantisierung parodiert. Mich lässt das Gedicht immer wieder schmunzeln. Aber keine Frage: Schöne Sonnenuntergänge bewundere ich dennoch!

Das Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

Der Schweizer Komponist Othmar Schoeck (1886-1957) hat das seufzende Fräulein vertont: