Monatsarchiv: September 2021

Autorin der Woche (38/2021)

2011 habe ich den ersten Teil von Ulla Hahns autofiktionaler Tetralogie gelesen, „Das verborgene Wort“. Schon nach wenigen Seiten war ich mittendrin im Nachkriegskinderleben von Hilla Palm, der Tochter eines ungelernten Arbeiters, die früh ihre große Leidenschaft für Wörter und Sprache entdeckt. In den Folgebänden „Aufbruch“ und „Spiel der Zeit“ begleitete ich Hilla durch Schul- und Studienzeit; bangte, litt und lachte mit ihr und war sehr interessiert an ihrem kritischen Blick auf die 68er. Im letzten Buch der Reihe, „Wir werden erwartet“, durchlebte ich mit Hilla ihren zweiten großen Schicksalsschlag, sah, wie sie mit ihrer Familie nach und nach Frieden schließt und beobachtete, wie ihre Begeisterung für den Kommunismus entflammt und wieder erlischt.

Eine berührende und fesselnde Lebensgeschichte, einfühlsam und spannend erzählt – wenn auch an wenigen Stellen etwas langatmig (vornehmlich im dritten und vierten Band), das verzeiht man jedoch leicht.

Mein Erlanger Poetenfest 2021, vervollständigt

Nach Dana Grigorcea, Jenny Erpenbeck und Sharon Dodua Otoo standen am Sonntagnachmittag noch zwei AutorInnen auf meinem Poetenfestprogramm. Zunächst Monika Helfer, die ihre autofiktionale Familiengeschichte mit „Vati“ fortsetzt. Die Leseproben und das Gespräch mit Dirk Kruse waren berührend und machten Lust auf mehr.

Und zum Schluss: Michael Köhlmeier. Er lässt den Kater „Matou“ sieben Leben leben und erzählen, von der französischen Revolution bis in die Gegenwart. Matou ist enorm gebildet und sehr eloquent. Köhlmeiers Leseproben aus dem fast 1000-seitigen Werk und das Gespräch mit Hajo Steinert waren höchst unterhaltsam und fesselnd – so dass der strömende Regen kaum zu spüren war.

Ein sehr schönes Poetenfest habe ich dieses Jahr erlebt und bin an beiden Tagen beglückt nach Haus geradelt; einmal trocken, einmal nass. Dennoch hoffe ich, dass 2022 wieder die offenen Lesenachmittage im Schlossgarten mit ihrem vollkommen einzigartigen Zauber stattfinden können.

Autorin der Woche (37/2021)

Sharon Dodua Otoo wurde 1972 in London geboren, studierte unter anderem Deutsch, lebt seit langem mit ihrer Familie in Berlin und schreibt auch auf Deutsch. Sie gehört zum illustren Kreis der Autorinnen, die den Bachmannpreis nicht nur gewonnen, sondern ihren Siegertext auch beim Erlanger Poetenfest präsentiert haben (2016, „Herr Gröttrup setzt sich hin“).

Dieses Jahr kam Sharon Dodua Otoo wieder, am Abschlusstag, und stellte ihren ersten Roman vor: „Adas Raum“. Ada ist nicht eine, sondern vier Frauen, sie leben in verschiedenen Jahrhunderten, in verschiedenen Ländern. Ihnen begegnen Unterdrückung, Zwang und Rassismus. Sie leisten Widerstand, kämpfen für ihre Unabhängigkeit und ihr Glück. Otoo trennt die Orte und Zeiten der vier Adas nicht streng, sondern verwebt deren Schicksale in eine große Weltgeschichte.

Otoo erzählt mutig: inhaltlich, weil sie kein Leid verschweigt, und schriftstellerisch, weil sie ungewöhnlicher Perspektiven wählt, so beispielsweise die eines Türklopfers oder eines Reisepasses. Und auch das Frühstücksei aus „Herr Gröttrup setzt sich hin“ tritt wieder in Erscheinung.

Autorin der Woche (36/2021)

Meine nächste Station beim Erlanger Poetenfest 2021 war Samstag um 17.00 Uhr die Villa an der Schwabach in der Hindenburgstraße. Dort las Jenny Erpenbeck aus ihrem neuen Roman „Kairos“. Darin begegnen sich eine junge Frau und ein deutlich älterer verheirateter Mann und gehen eine Liebesbeziehung ein, die durch das Beschwören ihrer Schicksalshaftigkeit totalitäre Züge annimmt. Diese Liebe beginnt 1986 in Ostberlin und wir begleiten sie bis Anfang der 1990er Jahre – und so spiegelt diese intensive und aufwühlende Liebe auch die Zeitenwende und den Niedergang der DDR.

Jenny Erpenbeck wurde 1967 in Ostberlin geboren und ist eine kunstvolle Erzählerin mit starker Stimme. Vor einigen Jahren hat mich bereits ihr Roman „Aller Tage Abend“ begeistert. Nun freue ich mich auf Kairos!

Autorin der Woche (35/2021)

Mein Erlanger Poetenfest 2021 begann letzte Woche Samstagnachmittag im Innenhof des Stadtmuseums. Ich saß auf meinem reservierten Platz, die nahe Kirchturmuhr schlug 2 Uhr und die Sonne kam hinter den Wolken hervor. Ein wohliges Glücksgefühl durchströmte mich und da betraten Dana Grigorcea und Dirk Kruse auch schon gut gelaunt die Bühne.

Dana Grigorcea wurde 1979 in Bukarest geboren und lebt seit längerer Zeit in der Schweiz. 2015 hatte ich Grigorcea bereits beim Poetenfest gehört; ihren damals vorgestellten Roman habe ich jedoch nicht gelesen. Das wird beim aktuellen Buch „Die nicht sterben“ anders sein, denn ich habe es direkt im Anschluss an die Lesung am Büchertisch gekauft. Es geht um Vampire und Populismus, um Filterblasen und die Familiengruft und die guten alten Zeiten, denen nachgetrauert wird. Ein Kritiker schrieb, Grigorcea habe ein neues Genre geschaffen: den politischen Schauerroman. Ich bin gespannt!